ohne Titel, Wachs, Aceton, Malerei auf Bütte, ca 30x30cm, 2022

souvenirs

französisch souvenir, eigentlich = Erinnerung, zu: se souvenir = sich erinnern < lateinisch subvenire = einfallen, in den Sinn kommen

„Marcelle Ernst greift in ihren heiter getönten Bildern das Thema der Erinnerung auf, das jeden von uns begleitet, von dem Moment an, in dem man sich seiner selbst bewusst wird. Zu diesem menschlichen Bewusstsein von sich selbst gehört auch das Wissen um die Vergänglichkeit. Um das Vergehen der Zeit, die Vergänglichkeit des Bestehenden und sogar die eigene Vergänglichkeit. Was in Moment des Glücks schmerzlich scheinen mag, kann im Unglück trösten: Jeder Moment, der finstere wie der lichte, geht unwiderruflich vorüber. Die Erinnerung, sagte der amerikanische Autor William Faulkner, sei für den Dichter die zarte Schwester der Phantasie. Marcelle Ernst greift in ihren Arbeiten freundliche Erinnerungen auf und überführt sie sacht ins Phantastische. Man erkennt Strandszenen, üppig grünende Gärten, Cafétische, Schiffe: Oft sind es Urlaubsfotos, die am Anfang des künstlerischen Prozesses stehen. Die junge Langenthaler Künstlerin druckt ihre Reisefotos digital auf Büttenpapier und bearbeitet die Rückseite mit Wachs. Dadurch kommt auf der Rückseite das Bildmotiv mit leichten Unschärfen zum Vorschein. Diese durchscheinenden Bilder bearbeitet die Künstlerin mit malerischen Gesten oder sie verwendet die durch das Wachsverfahren gewonnenen Motive als Vorlagen, die mittels Airbrush-Digitalverfahren auf bemalte Leinwände oder Holzkästchen gespritzt werden.

Durch diese Mischung technischer und handwerklich-künstlerischer Verfahren, digitalisierter und gemalter Bildelemente, entstehen Bilder in verschiedenen Abstufen der Abstraktion. Auf einigen erkennt man noch gut die Badenden am Strand oder das rote Auto am Fährhafen. Die körnige Verschwommenheit verweist dabei auf jene Unsicherheit und Lückenhaftigkeit, die dem Erinnern oft zu eigen ist. In anderen Bildern überwiegen die konturlosen Farben, die weniger ein konkretes Bild liefern, sondern eher ein Gefühl, eine Stimmung vermitteln. Marcelle Ernst greift ein Thema auf, das zeitlos ist und zugleich sehr aktuell. Unsere Erinnerungen, das sind wir. Je älter wir werden, umso mehr leben wir von unserer Vergangenheit, unseren Erinnerungen, die den Humus unserer Persönlichkeit bildet und dabei doch immer veränderlich bleiben. Erinnerung ist flüchtig und wandelbar. Weich wie das Wachs, mit dem Marcelle Ernst ihre Fotografien bearbeitet, passen Erinnerungen sich den Lebensaktualitäten und -notwendigkeiten an.“

 

Alice Henkes Dezember 2011


papierarbeiten

chäschtli

Souvenirs chäschtli, malerei/ airbrush digital auf holz, 15x15 bis 30x50cm. Tiefe 6cm

leinwände


Arbeiten hinter Glas - Acrylglas

nach(t)bilder

leuchten im Dunkeln

2000-2007 missgeschicke und komische Viecher

Von der ungegenständlich und verschlüsselten Zeichensprache, die die Künstlerin im Jahre 2000 entwickelt und „Missgeschicke“ genannt hatte, hat sie sich dem Erzählerischen zugewandt und eine ureigene Fantasiewelt mit eigenen Figuren erschaffen. Kraftvolle Kreaturen sind das, welche mit ihrem Tun und

ihren Gebärden an Menschliches erinnern. Organische Körper eingekapselt, allein oder zu zweit, andere im Raum schwebend oder in rasanter Fahrt auf einander zusteuernd. Die abstrakten Figuren stehen miteinander und dem Raum, durch den sie schweben, aufwärts und abwärts gleitend, in Kontakt. Dies erschafft Bewegung und Dynamik auf der ganzen Bildfläche. Auch ein Innehalten ist möglich, dementsprechend

wirkt das Bildgeschehen fast meditativ ruhig. Gestalterisch verstärkt werden die dynamischen Bewegungen durch den expressiv bearbeiteten Hintergrund.

Kraftvolle Striche, Kratzer und wiederum ruhige Flächen verstärken den Eindruck von Vorwärts- und Rückwärtsbewegungen oder dem Innehalten im Raum. In stetigem und prozesshaftem Arbeiten hat sie ihre Figuren weiterentwickelt.

Waren die Wesen in Marcelle Ernsts Bildern früher von eher kleiner Gestalt, so sind sie heute in den Bildraum hinein gewachsen, treten manchmal grossflächig aus dem Bildrand heraus. Ihre Mimik und Gestik erinnern stark an Menschliches. Sie erzählen Geschichten von Empfindungen und Gefühlen, Erlebtem und Beobachtetem, von zwischenmenschlichen Beziehungen. Sind es nun tier- oder menschenartige Wesen, welche die Künstlerin uns zeigen will? Fest steht, dass der Betrachter mit ihnen in Beziehung tritt und feststellt, dass die Kreaturen Geschichten erzählen, Geschichten von menschlichen Verhaltensmustern. Die Figuren sind manchmal selig im Ausdruck und in friedlicher Koexistenz miteinander, dann wieder in Abgründe stürzend oder sich in Konflikten gegeneinander reibend. Der narrative Gehalt der dargestellten Situationen kann beim Betrachter nebst Irritation nicht selten ein Schmunzeln auslösen. Sie arbeite intuitiv, erklärt die Künstlerin und überlässt die Deutung ihrer malerischen Geschichten dem Betrachter.